April 2023

Die Tulpe

Dunkel

war alles und Nacht.
In der Erde tief

die Zwiebel schlief,

die braune.

Was ist das für ein Gemunkel,

was ist das für ein Geraune,

dachte die Zwiebel,

plötzlich erwacht.

Was singen die Vögel da droben

und jauchzen und toben?

Von Neugier gepackt,

hat die Zwiebel einen langen Hals gemacht

und um sich geblickt

mit einem hübschen Tulpengesicht.

Da hat ihr der Frühling entgegengelacht.

Josef Guggenmos (1922-2003)

Liebes Publikum,

Noch nie habe die Welt einen solchen Wahnsinn erlebt, schrieb der Haarlemer Geistliche Jodocus Cats vor rund 400 Jahren. Und das alles wegen einer zarten Blume, die kaum mehr als zwei Wochen im Frühjahr blüht – in den Niederlanden hatte die Tulpenhysterie eingesetzt. Für Zwiebeln von geflammten, gezüngelten oder gepunkteten Exemplaren konnte man Häuser in den besten Lagen Antwerpens eintauschen. Und ihre Farbenpracht wurde auch auf der Leinwand gefeiert: wieder und wieder rückten niederländische Meister diese Blume ins Zentrum ihrer komponierten Stillleben. Welch einen Kontrast bildeten die vergänglichen Gewächse mit ihrer zerbrechlichen Schönheit zur Wirklichkeit dieser Tage. Pest, Kriege und eine kleine Eiszeit verwüsteten und entvölkerten ganze Landstriche. Die Tulpenmanie erzählt von einer poetischen Sehnsucht nach Kunstfertigkeit, Schönheit, Eleganz – und von der Hoffnung, die Menschen auch und gerade in schweren Zeiten kultivieren können.

In des Herzens heilig stille Räume musst du fliehen aus des Lebens Drang, empfahl der Autor der Europahymne, Friedrich Schiller (1759-1805). Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, und das Schöne blüht nur im Gesang – im April singen und sprechen wir im Wortkino für Sie! Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Mit herzlichen Grüßen
Norbert Eilts